Kriegerdenkmäler und die Logistik der Massenvernichtung

 

Eisenbahnschienen im Zeitraffer: Minutenlang rast die Kamera aus der Perspektive eines Lokführers über Gleise hinweg quer durch die Weit. Scheinbar planlos, aber mit tödlichem Ziel -am Ende landet der Zuschauer in Auschwitz-Birkenau. Der Film des französischen Künstlers Jean-Gabriel Périot zeigt in seiner unerträglichen Unausweichlichkeit, die aus der stummen Gewalt der Schienenstrukturen erwächst, die Nüchternheit einer kühlen Logistik als unabdingbare Voraussetzung für die Shoa. Denn ohne die Pünktlichkeit und die pedantische Organisation der Deutschen Reichsbahn wären die Züge nicht ans Ziel gekommen -weder die Truppentransporte der Soldaten an die Front noch die Deportationszüge in die Vernichtungslager.

Diese Kausalität verdichtet Périots Film Dies lrae, der als temporäre Intervention im Rahmen des Projekts Erinnerung in Bewegung auf einer großen Leinwand direkt vor der Feldherrnhalle auf dem Münchner Odeonsplatz projiziert wurde, verstörend und nachhaltig beunruhigen d genau an jenem Ort, der neben dem Königsplatz der zentrale Platz des Blut-und Märtyrerkultes des "Dritten Reiches" war. Dort enthüllte Hitler bereits am 9. November 1933 das Mahnmal für die 16 "Blutzeugen" des gescheiterten Putschversuchs vom 9. November 1923. Auf diesem Platz fanden regelmäßig Vereidigungen von SS-und Wehrmachtsrekruten statt, die gelobten, ihr Blut und Leben für "Führer, Volk und Vaterland" zu opfern. Bis heute wird in der Gedenkkultur (west-) deutscher und österreichischer Kriegerdenkmäler behauptet, die Soldaten der Deutschen Wehrmacht seien von 1939 bis 1945 für "das Volk", "die Heimat" oder "das Vaterland" gefallen.

Mitten auf dem Odeonsplatz macht Jean-Gabriel Périots Film, mit grandioser Bildsprache und in rasantem Tempo geschnitten, unmissverständlich deutlich, dass die große Mehrzahl der deutschen Erinnerungsorte und ihrer Kriegerdenkmäler bis heute die Verfolgten des NS-Regimes ausgrenzt, die Täter ehrt und den verbrecherischen Charakter des bisher größten Angriffs-und Vernichtungskrieges, ohne den die Shoa überhaupt.

 

Michael Backmund
Memory in Motion, 2007